Offener Brief an Jan-Philipp Albrecht

KöhlerPhotoArt

Hintergrund

Jan-Philipp Albrecht ist Europaabgeordneter der Grünen und Hauptverantwortlicher für die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die momentan vielen Fotografen Probleme bereitet. In einem per E-Mail versendeten – bislang unbeantworteten – „offenen Brief“ habe ich ihn um eine Stellungnahme gebeten.

DSGVO und Schwierigkeiten für Fotografen

Sehr geehrter Herr Albrecht,

ich bin zugegebenermaßen wenig erfreut über die DSGVO, an deren Entstehung Sie nach meinem Wissensstand maßgeblich beteiligt waren und möchte meinen Unmut in dieser Mail kundtun, und zwar in Form eines offenen Briefes, d.h. ich möchte Ihre Antwort gerne der Öffentlichkeit zugänglich machen, Ihre explizite Zustimmung selbstverständlich vorausgesetzt.

Zu meiner Person: Ich bin selber Hobbyfotograf und betreibe die Webseite www.koehlerphotoart.de mit dem Schwerpunkt Industriegeschichte und Architekturfotografie. Normalerweise vermeide ich bewusst die Darstellung von Personen auf meinen Fotos, da sie in der Regel nicht zum Thema meiner Arbeiten gehören. Ausgenommen sind Personen, die an belebten Orten zwangsläufig irgendwann ins Motiv laufen, obwohl ich es vermeiden möchte, oder Personen, die bei öffentlich zugäng Veranstaltungen wie z.B. ExtraSchicht, auftreten, um handwerkliche oder künstlerische Darbietungen vorzuführen. Vielleicht auch Bewohner einer historischen Arbeitersiedlung oder spielende Kinder (!!!) vor einem Gasometer! Nach dem bisherigen Kunsturheberrechtsgesetz war dies problemlos möglich. Durch die DSGVO wird dies künftig erheblich erschwert. Ich halte daher die DSGVO im Gegensatz zu Ihnen für alles andere als einen "großen Wurf", sondern für ein bürokratisches Monster, das über das Ziel erheblich hinausschießt. Das gilt nicht nur für Deutschland, wo man die DSGVO unzureichend bzw. gar nicht in nationales Recht umgesetzt hat, sondern für ganz Europa, weil dort ähnliche Probleme entstehen werden.

Hauptkritikpunkt ist die Vorabgenehmigung zur Datenerhebung, denn meine Bilder sind ja jetzt Daten! Diese ist - siehe meine Beispiele - in den meisten Fällen der Fotografie gar nicht möglich. Für Videofilmer, bei denen sich eine Vielzahl von Zufallsmomenten ergeben kann, ist es sogar praktisch unkontrollierbar. Abgesehen davon, dass ich mir, sofern möglich, schon alleine aus Sicherheitsgründen eine schriftliche Genehmigung einholen würde. Früher reichte es im Sinne einer konkludenten Willenserklärung aus, wenn die Betroffenen freundlich in die Kamera lächelten oder einen sogar bewusst zur Fotografie aufgefordert hatten. Die meisten hätten sich an die Stirn gefasst, wenn ich mit irgendwelchen Schriftstücken angekommen wäre. Der zweite Kritikpunkt ist die nachträgliche Rückgängigmachung einer Genehmigung. Stellen Sie sich einmal vor, jemand erstellt ein Video über z.B. einen Straßenbahnbetrieb, das später kommerziell vertrieben werden soll. Da stehen Personen an einer Haltestelle, die mehr oder weniger zufällig mit ins Bild kommen. Die können vielleicht noch gefragt werden und willigen ein. Das Video wird auf einer DVD verbreitet. Da kommt eine dieser Personen auf die Idee, die Einwilligung zurückzuziehen. Die Auflage muss eingestampft werden, es entsteht ein erheblicher Schaden. Für Leute, die vielleicht aus ihrem Hobby eine kleine Existenz aufbauen wollen, eine Katastrophe! Abgesehen davon, dass ein Fotograf oder Filmer nicht immer im Vorhinein weiß, was er später einmal mit seinen Aufnahmen macht. Dritter Kritikpunkt: Der im KUG aufgeführte Begriff des "Beiwerks" entfällt in der DSGVO. Beiwerk war alles, was nicht zum Hauptmotiv des Bildes gehörte und im Prinzip austauschbar war, ohne das Motiv nennenswert zu beeinträchtigen. Das konnte ggf. auch eine einzelne Person sein. Letzter Kritikpunkt: Die DSGVO ermöglicht hohe Strafen bei Missachtung. Viele Betroffene wissen aber nicht einmal, was auf sie zukommt. Ich selber habe erst in letzter Zeit davon zufällig erfahren. Verwarnungen sind nicht vorgesehen, und die Abmahnanwälte werden schon gierig nach Opfern suchen. Ich gehe zudem davon aus, dass auch die Zahl von Fotografen, die von juristisch unbedarften "Wutbürgern" angepöbelt und bedroht werden, steigen wird. Ich selber hatte bereits zweimal das Vergnügen.

Nun könnten Sie einwenden, die DSGVO erhalte doch zahlreiche Ausnahmebestimmungen und sei ähnlich rechtssicher wie das KUG oder dieses habe sogar weiterhin Vorrang. Nicht nur ich, sondern auch viele andere Fotografen sehen das anders. Und selbst die einschlägigen Fachanwälte vertreten unterschiedliche Auffassungen. Da ist von persönlichen und familiären Zwecken die Rede. Persönlich und familiär sind aber wahrscheinlich keine Aufnahmen, die ins Internet gestellt werden. Oder doch? Nur auf Facebook oder auch auf eine private Homepage? Dann könnte es vielleicht sogar Journalismus sein? Oder es muss sogar. Oder auch nicht. Sind Journalisten nur die offiziell akkreditierten und professionellen Medienschaffenden? Sind es auch die Blogger, YouTuber und Betreiber kleiner Webseiten? Sind es möglicherweise alle, die Informationen oder Meinungen zu verbreiten haben? Oder auch nur ein banales Foto vom Urlaub oder vom Schützenfest? Dasselbe gilt für den Kunstbegriff. Ist möglicherweise jedes Foto Kunst? Oder nur eines, das in einer Galerie hängt? Ich persönlich sehe meine Arbeiten durchaus dem Journalismus, der Kunst und auch der historischen Forschung verpflichtet. Wird das auch ein Richter so sehen, der im Zweifelsfall darüber entscheiden muss? Wird der Richter überhaupt Ahnung vom Wesen des Internets haben?

Die Abwägung der Interessen ist natürlich schön. Aber wann überwiegt das Interesse des Fotografen, wann der abgebildeten Person? Die Gerichte müssen es entscheiden, die sind schon jetzt mit Asylverfahren und Hartz-IV-Klagen hoffnungslos überlastet! Auch die Unmöglichkeit einer Genehmigung ist nicht so klar formuliert, wie es vielleicht scheint. Wann ist es möglich, eine Erlaubnis einzuholen und wann nicht? Werden das ebenfalls die Richter entscheiden müssen? Bei dieser Gelegenheit noch eine Stilblüte aus DSGVO § 11 (2): "Kann der Verantwortliche in Fällen gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels nachweisen, dass er nicht in der Lage ist, die betroffene Person zu identifizieren, so unterrichtet er die betroffene Person hierüber, sofern möglich." Das ist doch wohl Realsatire?! Muss ich jetzt Fahndungsfotos aufhängen und darf ich das überhaupt?

Die Rechtsunsicherheit und die Bürokratie gehen aber weit über die Fotografie hinaus. Auch im Bereich der Cookie-Vorschriften oder der SSL-Verschlüsselung sind Fragen enstanden. Selbst kommerzielle Anbieter machen es noch nicht einmal immer richtig. Was sind technisch notwendige oder nicht notwendige Cookies? Auf beide muss ich vermutlich hinweisen, bei letzteren muss ich sogar eine ausdrückliche Bestätigung abfragen und bei Ablehnung trotzdem die Benutzung der Seite ermöglichen. Wer denkt sich sowas aus? Software muss möglicherweise umgeschrieben oder upgedatet werden. Zum Glück habe ich noch eine altmodische statische HTML-Seite, von daher dürfte ich da kein Problem haben. SSL-Verschlüsselung brauche ich deswegen vermutlich auch nicht, denn ich frage ja keine Daten ab. Moment, da ist noch das Gästebuch! Eigentlich wäre jeder, der sich da einträgt, erwachsen genug, um zu wissen, dass alle Einträge öffentlich und freiwillig sind. Aber da werden eben Daten erhoben, deswegen brauche ich jetzt eine Cookiewarnung und eine SSL-Verschlüsselung. Die kostet beim Provider extra, will ich nicht, Gästebuch ist altmodisch, also weg damit! Kann ich denn überhaupt noch meine Webseite gefahrlos betreiben? Ich habe kein Heer von Justiziaren und bin auch nicht der Springer-Verlag, der es sich leisten kann, erfolgreich gegen Maßnahmen zur Trackingabwehr zu klagen, obwohl diese wirklich sinnvollen und unbürokratischen Datenschutz darstellt (soviel zur Kompetenz von Gerichten). Über die Cookie-Warnungen hatte ich mich seinerzeit noch köstlich amüsiert. Ich wusste nicht, dass das Ernst ist. Ich habe nur gedacht: "Warum muss ich das jetzt bei jeder Seite wegklicken, wo ich doch die meisten Cookies sowieso über den Browser abgeschaltet habe?" Irgendwann wird man die Europäer auslachen, weil sie den Nutzern das Internet erklären mussten und für jede Seite sinnlos Traffic erzeugten. Genau, wie sich der Rest der Welt heute noch über verpixelte deutsche Häuser in Google StreetView totlacht. Außer vielleicht in Russland, China oder Nordkorea.

Wie ich aus Ihrer Vita entnehmen konnte, haben Sie sich in der Vergangenheit für Presse- und Meinungsfreiheit im Internet eingesetzt. Mit der DSGVO wird das genaue Gegenteil bewirkt. Unter Strafandrohung werden Fotografen, Blogger, kleine Webseitenbetreiber und womöglich auch der ein oder andere kleine Webshop aus dem Internet vertrieben, Existenzen zerstört. Leider werden inzwischen immer mehr mit heißer Nadel gestrickte handwerklich schlechte Gesetze produziert, die dann nach für die Betroffenen langwierigen und oftmals ruinösen Gerichtsverfahren später nachgebessert werden. Ein anderes Beispiel sind die Hartz-Gesetze, bei denen es sich ähnlich verhielt. Ich selber habe den Grünen den Rücken gekehrt, spätestens nach der Zustimmung zum unsäglichen Beschneidungsgesetz. Aber das ist eine andere Sache. Ich appelliere dennoch an Sie und alle anderen Verantwortlichen, die Fotografie möglichst noch vor Inkrafttreten generell aus dem DSGVO herauszunehmen bzw. die Ausnahmen entsprechend dem altbewährten Kunsturheberrechtsgesetz zu formulieren und auch andere Bestimmungen noch einmal zu überdenken, und zwar ohne die Notwendigkeit nationaler Ergänzungen, die dem Wunsch nach einer einheitlichen europaweiten Gesetzgebung letztendlich widersprechen.

Mit freundlichen Grüßen
Werner Köhler, Krefeld