Porträt

KöhlerPhotoArt

Werner Köhler bei der Arbeit

1961 in Krefeld geboren, habe ich zum ersten Mal während meines Grafik-Design-Studiums 1983 „richtig“ fotografiert. Damals trat meine mühsam ersparte Mamiya-645-Mittelformat­kamera die Nachfolge der ISO-Pak CI (Wahnsinn!) aus meiner Kindheit an. Vom Urlaubs­knipser zum Noch-nicht-ganz-Experten, das war ein Quanten­sprung, wie er sich selbst bei der Umstellung auf die digitale Sony Alpha 350 im Jahre 2008 und auf die Alpha 580 im Jahre 2011 nicht wiederholt hat. Die gute alte analoge Mamiya benutze ich gelegent­lich immer noch.

Mich haben alte Industriegebäude seit jeher fasziniert. Die neue 4,5-x-6-Kamera war ein Anreiz, einige davon abzulichten. Das Hinter­grund­wissen fehlte jedoch. Das Internet existierte noch nicht, und so entdeckte ich meine „Locations“ eher zufällig. Vom „kochenden Pott“ mit Stahlwerken und Zechen habe ich trotz seiner Nähe zu Krefeld nur wenig mit­bekommen. Lange Zeit fehlte mir der Zugang zu dieser ungewöhn­lichen Welt. Leider – aus heutiger Sicht.

Meine Aufnahmen entstanden zunächst überwiegend in Schwarz­weiß. Nicht nur aus Kosten­gründen, sondern auch, weil es die Atmosphäre einer Zeitreise vermittelte. Es waren ausschließlich Außen­aufnahmen.

Eine weitere Initial­zündung war die Besichtigung jener Industrie­denkmäler und ‑museen, die in den 90er-Jahren geschaffen wurden, um wenigstens einen Teil der verschwindenden Industrie­landschaft für die Nachwelt zu konservieren oder einer neuen Nutzung zuzuführen. Es entstand der Begriff der Industriekultur.

Nach der ersten Euphorie über Industrie­gebäude als Kultur­denkmäler ist inzwischen wieder im Bewusstsein vieler Bürger ein Zustand erreicht, wo solche als schnell zu entsorgende „Schand­flecken“ gelten. Industrie­kultur heißt vor allem Unterhaltungs­kultur mit Rest-Industrie als Kulisse – Schwanensee in der Schacht­halle. Toll – aber keineswegs authentisch. Es sollte wenigstens noch etwas nach Maloche riechen.

Ich begann, Ausschau nach den letzten Zechen zu halten. Früher war es nicht ganz einfach, sie ausfindig zu machen und ohne Auto zu erreichen, geschweige denn zu betreten. Um so erstaunter war ich, als ich feststellen musste, dass es möglich war, Bergwerke ganz offiziell durch den Pförtner­eingang besuchen zu können. Ein paar nette Anfragen bei den Verant­wortlichen öffneten Türen. Hierbei habe ich zumeist aufge­schlossene Menschen kennen­gelernt – Kumpels im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bekam Respekt vor Leuten, die ihr Handwerk beherrschten. So manches Vorurteil über die Welt der „einfachen Arbeiter“ blieb schnell auf der Strecke. Da die Maschinen mich nun ebenfalls interessierten, entstanden auch Innen­aufnahmen, Personen­aufnahmen nur ganz selten.

Sporadisch bin ich mit noch mit einigen Kollegen der Gruppe InduArt unterwegs, da man sich in der Gruppe ergänzen und Erfahrungen austauschen kann.

Trend des Internet-Zeitalters ist inzwischen die „Lost Places“-Fotografie, auch Urban Exploration genannt, bei der überwiegend Innen­aufnahmen neuzeitlicher Ruinen entstehen. Deren Protagonisten, Yves Marchand und Romain Meffre, haben handwerkliche Meisterwerke geschaffen. Doch auch, wenn es in diesem Genre noch weitere Talente gibt, sinkt das Niveau aufgrund einsetzender Vermassung. Pseudo-romantische Kitsch­bildchen, bei brutalstem Sonnenlicht aufgenommen und mit Hilfe digitaler Tonemapping-Technik auf nachtdüster und gruselig manipuliert, sind das Non-Plus-Ultra der Szene.

Ich muss nicht auf der Flucht vor einem Wachdienst im Kampfanzug über durchge­rostete Stahlträger turnen, um dabei hektisch mit der Wahnsinnig-viel-ASA-Knipse wie mit einem MG wild umherzu­feuern. Ich möchte mich auf meine Fotos konzentrieren und mir Zeit dafür nehmen. Spaß machen darf es trotzdem.

Von daher definiere ich mich trotz einiger Berührungs­punkte nicht als Urban Explorer. Ich mag alte Gemäuer, sie müssen aber nicht zwangsweise verfallen sein. Außen­aufnahmen überwiegen bei mir immer noch. Abbruch­gebäude fotografiere ich nur zur reinen Dokumen­tation – oder weil die Bagger schneller waren. Dafür kann ich mich durchaus für Museen und denkmal­gerecht renovierte Objekte begeistern. Aber vor allem interessieren mich ältere Industrie­anlagen, in denen noch produziert wird. Und wenn „fotogene“ Technik vorhanden ist, auch moderne.

Ich mag zweifelsohne den von Ernst und Hilla Becher entwickelten sachlich-dokumenta­rischen Schwarz­weiß-Stil, lehne aber dennoch Stimmungs­fotos nicht grundsätzlich ab und strebe einen Kompromiss aus beidem an. Daher schätze ich inzwischen auch die Farbe, die mir die Digitalkamera „frei Haus“ liefert. Ich verwende auch digitale Bild­bearbeitung und sporadisch sogar HDR-Technik, aber nur, um aus guten Fotos noch etwas mehr herauszukitzeln. Nicht als trendige Effekt­hascherei oder zur Vertuschung hand­werklicher Fehler.

Dokumentiere ich? Mache ich Kunst? Man kann sich sowohl inhaltlich als auch gestalterisch mit den Objekten auseinander­setzen. Wenn ich eine Schraube sehe, hat sie einerseits eine bestimmte Funktion. Andererseits kann sie ein bizarres Objekt sein. Möglichst beides möchte ich erfassen. Außerdem bedeutet Kunst für mich auch, handwerklich gute Arbeiten zu liefern. Ich hoffe, es gelingt mir.

Ich bin nicht jemand, der die Industrie­gesellschaft unkritisch vergöttert. Je weiter man zeitlich zurück­blickt, desto unroman­tischer war diese Welt: Dreck und Schinderei, und so mancher Arbeiter lebte nicht lange. Es ist vielleicht die Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo akzeptable Sozial- und Umwelt­standards erreicht wurden, das industrielle Zeitalter zu Ende geht. Die Industrie hat Menschen und Landschaften geprägt, hat faszi­nierende Bauwerke geschaffen. Das ist es, was ich unter Industrie­kultur verstehe. Ich wünsche mir, dass die Erinnerung daran nicht verloren geht. Zumindest mit Fotos lässt sich etwas davon retten und vielleicht auch das Interesse der Verant­wortlichen für den Denkmal­schutz schärfen.